Der Rest (Kurzprosa)

Es war doch noch ein erquickender Schlaf geworden, aus dem Dietwald erwachte. Die
Kälte hatte in dieser Nacht ihre Spuren am
Fenster mit dem Blick zum schneeversunke-
nen Garten hinterlassen.
Rasieren und Waschen, Kämmen und Bürsten
waren bei ihm schon zu mechanischen Ar-
beitsgängen geworden, die eher schon ein
wenig mit Routine zu tun hatten.
Elfi lag noch im Bett, kostete die letzten Mi-
nuten ihres behaglichen Träumens.
Doch als dann unumgänglich der Wecker
schrillte, war auch sie in die Wirklichkeit zu-
rückgekehrt. Dietwald würde heute früher
als üblich in die nahe liegende Großstadt
fahren müssen.
Sie öffnete etwas benommen das zugeeiste
Fenster des Schlafzimmers. Neuer Schnee
war gefallen, bedeckte erfrischend weiß die
herrliche Landschaft. Noch im Morgenmantel
schmierte sie ihm das Brot, garnierte es mit
kleinen Salamistücken. Das aß er schon als
kleiner Junge sehr gern. Mutter gab ihm immer
eine Sonderration mit zur Schule.
Wie lange war das doch her?
Damals, damals kaufte Mutter die von ihm so
heißgeliebte Wurst gerade pfundweise für ihn ein.
Vater hingegen fand für den Jungen kaum die
nötige Zeit, da er schwer malochen musste:
Akkordarbeit hieß die Devise in den Aufbau-
jahren der jungen Republik!
Unter großen persönlichen Entbehrungen
schickten ihn die Eltern auf die höhere Schule,
später zur Universität. Ach ja, er besuchte ja
mehrere davon.
„Der Junge soll`s mal besser als wir haben!“,
war der Leitstern all ihrer Mühen.
Vater verzichtete fast gänzlich auf sein herbes
Blondes, völlig auf die Zigarre. „Der Junge soll
es einmal besser haben als ich!“, entgegnete
er unerschütterlich seinen Arbeitskollegen,die
ihn meistens wegen seiner auferlegten Askese
spöttisch belächelten.
Vater Grab hatte daneben oft heftige Schmer-
zen in der linken Hüftgegend, was von einer
lange zurückliegenden Verletzung herrührte.
Indessen war es schon halb acht geworden.
Dietwald verschlang die Schnitte Brot mit dem
Salamibelag stehend zwischen Tür und Ess-
diele. Seine Position verlangte es, pünktlich
sein zu müssen. Den Wagen chauffierte er, wie gewöhnllich, selbst die Schnellstraße bis
zum Industriegebiet „Nordgraben“ entlang.
Der Schnee war mittlerweile beiseite geräumt,
Kinder formten am Rande der Fahrbahn mat-
schige Bälle.
Im Verwaltungsgebäude des bedeutenden
Elektrokonzerns Thenkaub wartete man schon
ungeduldig auf den jungen Dr. Grab; im Sit-
zungssaal verkündete er die seine anfängliche
Beklemmung etwas befreienden Worte:“Der
Konkurs ist eröffnet worden. Ein Sozialplan
wurde in Übereinstimmung mit dem Betriebs-
rat ausgearbeitet. Viele Belegschaftsmitglieder
konnten aufgrund der äußerst unbefriedigen-
den Geschäftslage nicht mehr arbeitsplatzmä-
ßig stabilisiert werden. Es blieb ein Rest von
Personen, für die wir keine Positionen mehr
hatten!“
Einige Tage später, es war kurz vor Weihnach-
ten, erhielt der alte Heinrich Grab ein Ein-
schreiben, in dem ihm die fristgemäße Kündi-
gung ausgesprochen wurde.
Auch an diesem Dezembermorgen war viel Neuschnee in der Nachkriegssiedlung am Ran-
de der Stadt gefallen. Auch dieses Mal schnei-
te es unentwegt in den trüben Tag hinein

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